Die Agentur hatte die Absicht, vor den Toren der Stadt die größte Hühnerfarm im Westen der Föderation zu errichten. Aus Sicht der Anwohner nicht unbegründet fürchteten sie den Gestank der Fäkalien oder drohende Seuchen, ausgelöst durch die Massentierhaltung. Auch eine Tierschutzinitiative hatte sich gegründet, deren Mitglieder mit zahlreichen Aktionen den Bau der Anlage zu verhindern versuchten. Doch aller Protest war vergebens, und innerhalb eines guten Jahres war die Geflügelfarm Luvenga fertig gestellt. Zur offiziellen Eröffnung gab es ein großes Festzelt, eine Geflügelschau und der Agrarminister höchstpersönlich gab der Stadt die Ehre. Nachdem der Rummel vorüber war und die Zuchtanlage ihre Arbeit aufgenommen hatte, bemerkten die Menschen der Stadt schnell, dass ihre Sorgen scheinbar unbegründet gewesen waren. Weder morgens oder abends, noch sonst irgendwann trug der Wind den Geruch von Hühnerexkrementen in die Stadt. Auch Seuchen waren während des inzwischen einjährigen Betriebes nicht aufgetreten. Auch sonst war die Anlage zwar sichtbar, ansonsten jedoch, abgesehen von einigen Trucks, die offenbar mit Hühnerfutter, Eiern und Tiefkühlhähnchen beladen waren, vollkommen unauffällig.
Nur Hauptmann Iwan Shilkin und seine Mitarbeiter, ein Dutzend Computerexperten und Fernmeldetechniker, wussten, dass dies kein Zufall war. Die staatliche Agentur für Geflügelwirtschaft in Luvenga züchtete kein einziges Huhn. Sie hatte auch nicht die Absicht sich irgendwo in der Russischen Föderation mit Federvieh zu befassen.
Shilkin war gerade auf dem Weg in sein Büro, als das verschlüsselte Telefon in seiner Jackentasche vibrierte.
„Ja, bitte?“, meldete er sich.
„Wir sind zurück.“, antwortete sein 220 Kilometer entfernter Gesprächspartner.
„Nikolai Grigorjewitsch! Wie war der Flug?“
„Bequem“, gab der Anrufer kurz angebunden zurück. „Sind sie startklar, Wanja?“
„Ja, die Hühner sind gefüttert, hier ist alles bereit.“
„Gut. Die Maskerade kann jeden Moment starten. Wie müssen nur abwarten, wie lange sich die NATO noch Zeit lässt.“
„Ich weiß Nik“, entgegnete der Hauptmann, „wann hätte jemals ein Aggressor von sich selbst gesagt, dass er einen Krieg angefangen hat.“
„Wanja, die Leitung ist abhörsicher, aber sie sollten dennoch vorsichtig mit diesen Äußerungen sein. Unser Oberbefehlshaber wird so etwas bestimmt nicht gern hören.“
„Sie haben recht, Admiral. Wenn wir Glück haben, müssen wir danach keine Kriege mehr führen.“
„Wie viele andere Feldherren dachten das schon? Wie auch immer, wie müssen tun, was von uns verlangt wird. Ich melde mich wieder, sobald die Operation startet. Bleiben sie in Bereitschaft.“
„Wir erwarten ihre Befehle. Auf Wiederhören, Admiral!“
„Auf Wiederhören, Hauptmann, grüßen sie ihre Hühner!“
Ein Knacken in der Leitung gefolgt von einem regelmäßigen Piepton signalisierte Tupolev, dass die Verbindung getrennt wurde.
Bildquellen: wikipedia.org - RoadSignSeries: - panoramio_-_Road_Sign_Series_(96).jpg; NASA - modis white sea.jpg - gemeinfrei