- Offizieller Beitrag
Rund dreißig Meilen Luftlinie lagen zwischen den Invasionsstränden im Südosten und Südwesten der Insel Rhodos und dem vor ihm liegenden Hauptquartier des hellenischen Oberkommandos „Dodekanes“ in der Hauptstadt, die der Insel ihren Namen verlieh. Oder war es umgekehrt?
Captain Harold Coyle wusste, dass diese Frage genauso müßig war, wie die, ob es nun zuerst Hühner oder Eier auf der Welt gegeben hatte. Dennoch ertappte sich der junge Zugführer immer wieder dabei, wie er bei langen Fahrten eigentlich unnützen Gedanken dieser Art nachhing. Das brummen der Gasturbine seines M1A1-Abrams Panzers sowie das gleichmäßige Rollen der Ketten auf dem Schotter der griechischen Landstraße machte ihn müde. „Nach müde kommt dumm“, fiel ihm eine alte Weisheit aus seiner Rekrutenzeit ein. Er öffnete eine Dose „Mr. Browns“ Eiskaffee und spürte, wie das Koffein seine Wirkung zeigte.
Seit ihrer Landung an den goldenen Stränden der Insel waren einige Stunden vergangen. Sie waren gut vorangekommen, zunächst die Berge hinauf in Richtung Zentrum der Insel. Im Städtchen Kattavia stießen sie auf die Überbleibsel der ersten erwarteten größeren Bedrohung. Die Reste einer Batterie von ehemals über dreißig Geschützen des Kalibers 155 mm schwelten und glühten in der vormittäglichen Sonne. Den Angriff von vier F-16, bis an die Zähne bewaffnet mit Maverick-Raketen, hatten Sie an Bord der Landungsflotte beobachten können. Die aufsteigenden Rauchschwaden brachten ihnen noch auf See die Sicherheit, dass bei der Landung kein Artillerie-Sperrfeuer vielleicht die Hälfte des Bataillons im warmen Wasser am Strand der Insel versenken würde. Er hoffte, dass die zweite Rotte F-16, die sich um die im Zentrum der Insel vermuteten Gegner kümmern sollte, ebenso erfolgreich war.
Vorsichtig ließ Coyle seinen Zug die letzten Hügel vor der vermuteten Stellung des Gegners hinaufziehen. Kurz vor der Spitze des Hügels würde er die vier Panzer halten lassen und sich nur so weit nach vorn tasten, dass gerade die Oberkanten der Türme seiner Abrams-Panzer einen Blick in die dahinter liegende Ebene werfen konnten. Auf diese Weise hatte er zwei Vorteile: Volle Feuerkraft im vorderen Sektor bei maximaler Panzerung. Gleichzeitig war die erkennbare Silhouette seiner Panzer minimal. Mit etwas Glück sah er seine Gegner, ohne dass sie ihn sahen. Natürlich wusste er, dass die Griechen auf der Gegenseite mit dem deutschen Kampfpanzer Leopard 2A5 ein mindestens ebenbürtiger Gegner waren.
Im Gegensatz zum jungen Captain Coyle war Oberstleutnant Georgios Papadopoulos ein erfahrener Soldat und Bataillonskommandeur in der griechischen Panzertruppe. Seine Einheit hatte ursprünglich den Auftrag erhalten, eine Brücke im Nirgendwo, mitten auf Rhodos zu verteidigen, um den Rückzug von Raketenwerfern und Infanterieeinheiten nach einer zu erwartenden Landung der NATO-Truppen zu sichern. Anschließend sollten sie in eine bereits von Pionieren vorbereitete Feuerstellung hinter den Bergen nördlich von ihnen wechseln und von dort die vorstoßenden Gegner bekämpfen. Auf diese Weise sollte der Vormarsch auf die Inselhauptstadt gestoppt werden. In einem unmittelbar folgenden Gegenschlag sollte der Feind direkt wieder in die Ägäis zurückgeworfen werden.
Dass dieser Plan nicht gelingen konnte, musste Papadopoulos schon früh am Morgen des 26. Mai realisieren. Fernab von jeglicher eigener Luftunterstützung und ohne nennenswerte Flugabwehr waren seine Panzer den wiederholten Luftschlägen der auf Kreta stationierten NATO QRF nahezu schutzlos ausgeliefert. Weder die russischen SA-10 oder SA-11 Boden-Luft-Einheiten konnten die gegnerische Luftwaffe aufhalten, noch war die Luftabwehr, die standardmäßig zu seinem Bataillon gehörte, in der Lage, seinen Panzern den Schutz zu gewähren, den sie zur Auftragsdurchführung brauchten. Der strikte Befehl des Oberkommandos, die Stellung zu halten, nahm ihm jede Möglichkeit, Deckung in den naheliegenden Waldrändern zu suchen. So brachte Papadopoulos für seine letzte Schlacht noch genau zwei Leopard 2 Panzer, einen Bradley und drei Mistral-Luftabwehreinheiten aufs Feld.
Der Blick durch das Fernglas täuschte ihn zunächst. Waren dort am südlichen Horizont nicht eben noch drei Pinien zu sehen gewesen? Er stieg etwas höher aus seiner Kommandantenluke und erkannte jetzt deutlich, dass dort, wo eben noch die Pinienspitzen in die Höhe ragten, nun zwei lange Antennen mit Wimpeln über den Bergkamm wippten. Da waren die Amerikaner also. Sollten sie kommen, er würde bis zur letzten Patrone seine Stellung verteidigen. Die 120mm Glattrohrkanonen seiner beiden letzten Panzer waren mit Panzerbrechenden APFSDS, kurz SABOT genannten Geschossen geladen. Die gleiche Munition führten auch Coyles amerikanische M1A1-Abrams Kampfpanzer in ihren Magazinen hinter dem Turm mit sich. Das SABOT-Geschoss war im Grunde nichts Anderes als eine überdimensionierte, superharte Stecknadel aus Wolfram, die an einem Treibspiegel durch den Lauf eines Geschützes geführt wurde. Am Ende des Laufs hatte diese Wolfram-Nadel eine Geschwindigkeit von über 1.750 m/sek.
Coyle brauchte nicht lange, um zu erkennen, dass am Ende des vor ihm liegenden Tals die Reste des ehemals stolzen griechischen 30. Panzerbataillons in Stellung standen. „Schütze, SABOT, zwei Panzer, elf und ein Uhr, 2000 Meter!“, befahl er fast flüsternd er in das Intercom-Mikrophon seines Panzers, um nur Sekundenbruchteile die Meldung „HEAT geladen, bereit!“ des Ladenschützen zu vernehmen. Im Gegensatz zu den SABOTs war die HEAT-Munition nichts anderes als eine mit Pulverdampf durch den Lauf getriebene hochexplosive Bombe. Nicht so panzerbrechend wie die SABOT, aber für den Moment hatte Coyle keine Wahl. Für den Wechsel der Munition war keine Zeit mehr. Schnelligkeit entscheidet das Gefecht. „Ziel identifiziert!“ Sein Richtschütze hatte die zugewiesenen Gegner erkannt, die Entfernung bestimmt und die Kanone auf das erste Ziel ausgerichtet. „Feuer HEAT, SABOT laden!“, bafahl Coyle. Wenigstens hätte er beim nächsten Schuss die richtige Munition. „On the waaaaaay!“. Coyles Richtschütze hatte abgedrückt.
In der gleichen Sekunde erkannte Papadopoulos zwei Kilometer weiter nördlich die Gefahr und befahl seinem Richtschützen, die Rheinmetall-Kanone seines Leos auf den Panzer mit den Wimpeln an den Antennen auszurichten. In dem Moment, in dem sein Feuerbefehl kam, sah er den Mündungsblitz am Panzer auf der anderen Talseite. Genau eine Sekunde später schlug das Hochexplosivgeschoss zwischen am Turm des Leopards auf. Mit einem wuchtigen Donner und hellem Blitz setzte die Hochexplosivmunition die Energie des Sprengstoffs in Wärme und Druck um, so dass Papadopoulos Panzer um einige Meter nach hinten geworfen wurde. Die Panzerung vermochte der direkte Treffer jedoch nicht durchdringen. Als Papadopoulos nach wenigen Sekunden Black-out wieder zu sich kam, wusste er, dass der Kampf endgültig verloren war. Der letzte Befehl an seine Besatzung und die restlichen Einheiten seines Bataillons war: „Der Kampf ist aus, rettet Euch!“. Er half seinen Männern aus dem noch immer schwankenden Panzer, dann sprang auch er vom Turm und versuchte so schnell es nur ging, mit seinen Leuten das Schlachtfeld zu verlassen.
„SABOT geladen, feuerbereit!“, rief Coyles Ladeschütze, beantwortet von einem knappen „Feuer“. Hinter sich hörte Papadopoulos das hässliche Krachen, als die Wolfram-Nadel die Frontpanzerung des Leopards durchstieß. Erst kurz danach kam aus der Ferne der Donner des Schusses bei ihm an. Durch den immensen Druck des Aufpralls schmolz die Wolframnadel des SABOT-Geschosses den Stahl der Panzerung. Flüssig und glühend heiß drang dieser in das inzwischen menschenleere Innere des Turms. Dort entzündete sich sofort alles brennbare Material und nur Millisekunden später explodierte der Geschützturm und wurde meterhoch in die Luft geworfen, als wäre er aus Pappe.
Papadopoulos´ Panzer war Geschichte und der griechische Oberstleutnant wusste, was für ein Glück er hatte, das dieser Ami, warum auch immer, beim ersten Schuss die Panzerung nicht durchschlagen konnte. Ohne sich umzublicken rannte er weiter, um nicht Opfer von Sekundärexplosionen zu werden, die er jeden Moment über sich und seine Kameraden hereinzubrechen wähnte.
Als Coyle bemerkte, dass die gegnerischen Einheiten offenbar nicht mehr zurückschossen, setzte er seinen Zug weiter Richtung Norden in Bewegung. Je näher er der Brücke im Nirgendwo kam, desto sicherer wurde er, dass er hier mit keiner Gegenwehr mehr rechnen musste. Das 30. Panzerbataillon war geschlagen und wenn die Jungs von der Intelligence ordentlich gearbeitet hatten, war der Rest des Weges nach Norden offen. Zur Hauptstadt, der die Insel ihren Namen verdankt - oder war es doch umgekehrt?